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Dieter Baumann:
Sport hilft gegen Hass und Gewalt

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12.03.2003, Reutlinger General-Anzeiger

von STEFAN KNOBLICH ©

Dieter Baumann hat schon viele Überraschungen erlebt. Als ihm ein Funktionär des Deutschen Sportbundes (DSB) händeschüttelnd gratulierte, war der Langstreckenläufer jedoch kurz sprachlos. Anlass war ein Vortrag des Tübingers auf der internationalen Konferenz zur Prävention von Hass-Kriminalität im Bundes-Justizministerium in Berlin. »In Tübingen und Reutlingen leben wir auf einer schönen Wolke im Vergleich zu anderen Regionen«, erläuterte Baumann dem GEA seine Einschätzung über Jugendgewalt gegen Menschen anderer Herkunft oder gegen Homosexuelle.

»Aber trotzdem gibt es auch hier Probleme, die Handeln dringend erforderlich machen«, fügte der Olympiasieger hinzu

»Mit Sport gegen Hass und Gewalt?« war das Vortragsthema, zu dem der in Tübingen lebende Kriminal-Professor Dieter Rössner den Sportler auf die Tagung eingeladen hatte. Bei der Vorbereitung kam der Lauf-Profi jedoch schnell zu dem Schluss, dass statt eines Fragezeichens eigentlich ein Ausrufe-
zeichen im Programm stehen müsste.

Allerdings stimmte Baumann zu, dass Sport aus Wölfen keine Schafe macht. »Sport ist nur ein Baustein in einem komplexen Sozialisationsprozess - nicht mehr, aber auch nicht weniger.« Warum das Thema Jugendgewalt so wichtig ist, untermauerte Baumann mit aktuellen Statistiken: die Gewaltdelikte von 14- bis 18-jährigen Jugendlichen haben sich von 1984 bis 2000 verdreifacht.

Massenkeilereien
Dazu erzählte das Langstrecken-Ass eine Geschichte vom Sportplatz: Bei einem Jugendfußballspiel in der alleruntersten Klasse in einer »netten Kleinstadt am Rhein« kommt es zu einer Massenschlägerei, die von zwei gegnerischen Spielern begonnen wird. Die Mannschaftskollegen mischen schnell mit, selbst der erwachsene Trainer schlägt mit der Faust zu und den Fans fällt auch nicht mehr ein, als mitzuprügeln.

Wie kam es zu der Massenkeilerei bei einem drittklassigen Spiel, bei dem allerhöchstens eine goldene Ananas zu gewinnen ist? Zeigt nicht diese Szene, dass sportliche Wettkämpfe eher Aggressionen auslösen, statt einen Beitrag zum friedlichen Miteinander zu leisten? Baumann stellte klar, dass es auch bei diesem Jugendspiel um etwas sehr Wichtiges ging: Um die Ehre der Beteiligten. »Gerade im Sport spielen die menschlichen Grundbedürfnisse nach Anerkennung, emotionaler Zuwendung, Einfluss, Aktivität, Bewegung, Spannung, Erregung und nicht zuletzt Spaß eine zentrale Rolle.« Wenn diese Bedürfnisse nicht gestillt werden, kann Gewalt die Folge sein.

Die Kicker aus dem Beispiel müssen für ihre Grundbedürfnisse ganz besonders kämpfen: sie stammen aus einem sozial-
schwachen, dicht besiedelten Viertel von Mohnheim mit einem hohem Anteil Jugendlicher ausländischer Abstammung.

»Wenn bei diesem Spiel versteckte Gewalt zum Ausbruch gekommen ist, wo versteckt sie sich dann normalerweise?«, fragte der Tübinger. »Wohnt sie vielleicht in solchen Stadt-
teilen?« Baumann lässt einen erfundenen 18-jährigen türkisch-
stämmigen Jungen die Erklärung liefern: »In Ordnung, wir sind eben aggressiver, motivierter, nicht so sensibel wie die Deutschen. Wir lassen uns weniger gefallen. Das ist auch bei der Arbeit so. Ich muss dem Meister beweisen, dass ich es kann, dass ich es will. Wir Ausländer müssen doppelten Einsatz zeigen, immer.«

Das gilt jedoch nicht nur für den fiktiven jungen Türken, sondern für alle Kinder aus unteren Gesellschaftsschichten. Ihnen fehlt besonders stark, was laut Baumann alle Jugendlichen brauchen, um ihre Persönlichkeit entwickeln zu können: Plätze und Frei-
räume, in denen sie ihren Bewegungsdrang ausleben können, in denen sie ihre Art der Kommunikation, ihre Art des Spaßes und ihre Art der Selbstverwirklichung erleben.

Zum Mangel an Freiräumen kommen noch viele andere Gründe, etwa auch die Abhängigkeit von Gruppen gewaltbereiter Jugendlicher. Diese Gangs seien oft das wirkliche zu Hause Heranwachsender. Allerdings herrschten hier ganz eigene Gesetze: klare Hierarchien und das Recht des Stärkeren. Gewalt werde dort als »große Leistung« angesehen.

Nach der Überzeugung des Tübingers, die er mit den wenigen verfügbaren wissenschaftlichen Studien untermauerte, kann der Sport eine Schlüsselrolle spielen, um den Bedürfnissen Jugend-
licher gerecht zu werden. Die regelmäßige, »freiwillige« Teilnahme am Training und Wettbewerben könne einen großen Teil der Bedürfnisse stillen, betonte Baumann. Hinzu komme, dass sie spielerisch lernen, sich an Leistung zu orientieren.

Der Vater zweier Kinder räumte ein, dass dabei ganz besonders Ballsportarten wie Fußball und Basketball eine wichtige Rolle spielen. Sein Sport, das Laufen, sei für Heranwachsende nicht ganz so attraktiv. Aber gleichgültig in welcher Sportart, die Regeln hätten einen extrem wichtigen Einfluss auf die Ent-
wicklung des Charakters von jungen Menschen. Denn: Regel-Verletzungen führen zu unmittelbaren Konsequenzen.

Strafe muss Botschaft haben
»Dabei ist jedoch wichtig, dass die Sanktion nicht den Spieler als Person trifft, sondern nur sein regelwidriges Handeln.« Das könne ein Freistoß, eine Zeitstrafe oder eine Sperre sein. »Die Strafe aber muss die Botschaft haben: Du hast dich zwar falsch verhalten, doch du gehörst zu uns«, erläuterte der Profi.

Damit sich Jugendliche ohne Frustration, die Gewaltbereitschaft fördert, entwickeln können, müssen aber Schulen, Sportvereine, Jugend-Zentren und Verbände, Jugend-, Sozial- und Sport-
Amt, die Kirchengemeinden, die Jugendgerichte, die Polizei und auch die Medien am gleichen Strang ziehen«, forderte der 38-
Jährige. Sport im Verein oder wöchentlich zwei Stunden Schul-
sport schafften das nicht allein.

Gerade der Sport könne Jugendlichen einen selbstkontrollierten Umgang mit ihrer körperlichen Kraft und mit ihren Gefühlen ermöglichen. »Diese Selbst-Erfahrung führt zu Selbstbewusst-
sein im Sinn von Über-sich-selbst-bewusst-sein - und zwar sowohl was die Stärken als auch die Schwächen anbelangt.« Dazu gehöre auch das Bewusstsein, dass Handlungen für einen selbst wie auch für andere Folgen haben. Deshalb ist für Baumann, der die Regeln des Sports aus eigener langjähriger Erfahrung kennt, klar: »Sport ist unverzichtbar, um der Gewalt zuvor zu kommen.«

 

 

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