Spätzle

    H ome

   über den
   freien Journalisten
   Stefan Knoblich

   Kontakt

   Disclaimer

Zwischen Berlin und Bogotá

Druckversion

UNICUM, Hochschulmagazin, 3/03

von STEFAN KNOBLICH ©

Irgendwo in Kreuzberg: Eine Oma liegt im Bett und atmet tief. Der Punk "Laus" und sein Kumpel John, ein "Satans-
jünger", schleichen sich an. Vorsichtig zieht er ein Geld-
bündel unter der Matratze hervor. - Ruhig erklärt der kolum-
bianische Regisseur Felipe Solarte, dass die Aufnahme wiederholt werden muss. Nach der Übersetzung seiner Assistentin Sarah Schulze murren die beiden schauspielern-
den Schreiner- und Klemptner-Azubis. Mit Solarte und weiteren kolumbianischen Filmemachern arbeitete die 25-jährige Filmstudentin lange Zeit in Kreuzberg. Derzeit verfilmt sie in Bogotá die Geschichten der dort lebenden Jugendlichen.

Solarte arbeitete nach Abschluss seines Filmstudiums bei einem Lokalsender im Norden Bogotás. "Dort fehlt es an Plätzen in Schulen und Arbeit", schildert er. Die Jugendlichen vertreiben sich die Zeit mit Drogen oder Überfällen. "Soziale Säuberung" wird verharmlosend die Antwort darauf genannt: die Ermordung vermeintlich Krimineller. Eines Tages kam eine Gang auf die Fernsehleute zu und schlug ihnen vor, einen Film über ihr Leben zu drehen. Ihre Hoffnung war, auf diese Weise einen Ausweg zu finden.

Aus den Lebensgeschichten der Jugendlichen entstanden vier Videos, die zeigen wie schnell Träume an der brutalen Realität zerschellen. Die Jugendlichen wirkten dabei in allen Bereichen vor und hinter der Kamera mit. Die Filme wurden beim Berliner EthnoFilmfest mit zwei Preisen ausgezeichnet. "Natürlich freue ich mich über die Anerkennung", erklärt Regisseur Solarte. "Das Wichtigste ist aber, dass wir zeigen konnten, dass die Jugend-
lichen nicht Probleme, sondern Menschen wie wir sind." Viele - wenn auch nicht alle - änderten ihr Leben grundlegend. Einige fanden neue Perspektiven in anderen Bereichen, ein paar arbeiten weiter beim Film.

Die Prinzipien für das Projekts brachte Solarte aus Kolumbien mit: an die Jugendlichen glauben und ihnen vertrauen. "Das war in Kreuzberg schwieriger", fasst er seine Erfahrungen zusammen. In Bogotá hatten wir keine Sprachbarrieren und die Gruppe war wesentlich homogener."

In Berlin arbeitete er mit Jugendlichen unterschiedlicher Herkunft aus verschiedenen Subkulturen. Besonders spannend: Einige Nebenrollen wurden mit Profis besetzt, die das Projekt unter-
stützen wollen. Darunter waren Tamer Yigit, Ben Becker und Bibiana Beglau. Auch Oscar-Preisträger Volker Schlöndorff engagierte sich. Nicht nur das begeisterte Filmstudentin Sarah Schulze. Sie zeigt sich vielmehr auch beeindruckt von den Jugendlichen, wie dem Punk "Laus". "Nach außen macht er einen völlig chaotischen Eindruck, aber tatsächlich ist er un-
glaublich zuverlässig."

Was die Berufsaussichten in der Filmbranche anbelangt ist Sarah eher skeptisch. Auch die Filme ihrer kolumbianischen Partner betrachtet sie eher mit Zurückhaltung. "Ich war total genervt, dass bei allen Filmen Frauen nur als Freundinnen, Mütter oder Prostituierte vorkommen. Deshalb will ich einen ‚Frauenfilm' machen!" Aber allein die erste Suche nach Jugend-
lichen für dieses Projekt erwies sich schon als Krimi. Sarah: "Beim Abstieg vom heiligen Berg Montserrate hatte ich eine Begegnung mit maskierten und schwer bewaffneten Jung-
banditen. Allerdings war ich nach der gründlichen Leibes-
visitation durch einen der aufgeregten Revolverfuchtler, lediglich dankbar über den Verbleib meiner notwendigsten Kleidungs-
stücke und schluckte alle weiteren Fragen..." Über die kolumbianischen Mitglieder des Teams fand die Regisseurin aber schließlich doch noch ihre Darsteller: "Diese Kids waren ganz anders: so distanziert."

Mit viel Geduld gelang es, das Eis zu brechen und eine Vertrauensbasis aufzubauen. Die Erfahrungen der Jugendlichen sind heftig: Prügel in der Familie, Geschwister wurden aus Armut zur Adoption freigegeben, Selbstmordversuche wegen verpönter Homosexualität und heimliche Arbeit als Straßen-
händler. All das wird durch makellose Kleidung und zuver-
sichtliches Auftreten kaschiert. Bei ihrem "Frauenfilm" beteiligten sich am Anfang vor allem Jungs. Im Laufe der Zeit kamen zu-
nehmend ihre Freundinnen und Schwestern hinzu und machten begeistert mit. Schließlich konnte ein Aufhänger für die Anekdoten der Kids gefunden werden: die Party zum fünf-
zehnten Geburtstag eines Mädchens. Also doch eine Art "Frauenfilm" im Stil einer turbulenten Komödie aus dem Leben der Armenviertel von Bogotá. Noch ist aber nicht die letzte Klappe gefallen...


weitere Infos unter:
www.asasuednord-stadtdschungel.de

 

 

 

Journal

Berlin


Politik,
Soziales & Kultur

Energie & Umwelt

Fotos