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Neugier kann tödlich sein

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journalist – Das Deutsche Medienmagazin, 4/2004, S. 36-37

von STEFAN KNOBLICH ©

Wer aus Krisen- und Kriegsgebieten berichtet, arbeitet unter lebensgefährlichen Bedingungen. In Trainings lernen Journalisten, die Risiken ihres Einsatzes zu minimieren. Etwa im Bundeswehr-Ausbildungszentrum Hammelburg.

Ein dumpfer Schlag erschüttert meinen Magen, ein tiefer Knall donnert gegen mein Trommelfell. Die Betonwände des Schutz-
grabens zittern, schwere nasse Erde prasselt auf die Helme. Wenige Meter entfernt explodierten fünf Kilo Sprengstoff. Als wir den Graben verlassen haben, peitschen einzelne Schüsse an uns vorbei. Maschinengewehrsalven knattern über unsere Köpfe hinweg. Großkalibrige Geschosse knallen, die Kugeln einer Maschinenpistole pfeifen: „Gefechtseindrücke“ nennt sich dieser Teil des Basislehrgangs für Journalisten zu „Schutz und Ver-
halten in Krisenregionen“. Eine derartige Ausbildung, angeboten von der Bundeswehr in Kooperation mit der Berufsgenossen-
schaft und dem Bildungswerk des Deutschen Journalisten-
Verbandes, wird zunehmend von Redaktionen und Agenturen als Voraussetzung für eine Entsendung in Krisen- und Kriegs-
regionen verlangt – schon aus versicherungsrechtlichen Gründen.

Der Tod der „stern“-Reporter Volker Krämer und Gabriel Grüner im Kosovo war einer der Gründe dafür, dass die Bundeswehr 1999 damit begann, Journalisten auf ihre ge-
fährliche Arbeit in Kriegs- und Krisenregionen vorzubereiten. Die Bilanz der Organisation Reporter ohne Grenzen (ROG) für das Jahr 2003 zeigt, dass sich seitdem die Lage nicht verbessert hat: 42 Journalisten starben in Ausübung ihres Berufes. Das ist die höchste Zahl seit 1995.

Erste Hilfe
“Sechs der Journalisten, die in Bagdad starben, könnten nach Berichten von Kollegen noch leben, wenn ihnen rechtzeitig Erste Hilfe geleistet worden wäre.“ Mit dieser erschreckenden In-
formation begründet Josef Krieg vom Pressestab des Ver-
teidigungsministeriums den hohen Stellenwert, den die Erst-
versorgung von Verwundeten in dem Lehrgang einnimmt.

“Rauchen kann tödlich sein“, manchmal reicht auch schon das bloße Berühren einer Zigarettenschachtel - mit oder ohne Warnhinweis: Coladosen, Stereoanlagen, Türen, Teppiche, Telefone, Aktenordner oder eine Kloobrille können ebenfalls lebensgefährlich sein. Ein paar Drähte, eine Batterie, Wäsche-
klammern oder andere einfache Hilfsmittel reichen, um mit jedem dieser Gegenstände Sprengladungen, Handgranaten oder Minen zu zünden. Den Teilnehmern lief ein Schauer über den Rücken, als ihnen Kursleiter Eiko Zuckschwerdt diese heim-
tückischen Zünder vorführte. Die Lektion ist deutlich: auch „Neugier kann tödlich sein“.

Warum engagiert sich das Verteidigungsministerium in der Ausbildung von Journalisten? Wird auch die Bundeswehr bald Plätze in ihren Panzern für „embedded correspondents“ reservieren? Josef Krieg erklärt, „wir sind davon überzeugt, dass embedded nicht der richtige Weg ist.“ Es gäbe auch keine Planungen dafür. Die aber durchaus beabsichtigte Image-
verbesserung für die Bundeswehr wurde bei den Teilnehmern des Kurses erreicht. Die Hörfunkjournalistin Manuela Römer kommentiert dazu, „wir haben die Bundeswehr von ihrer positivsten Seite kennen gelernt. Durch die Nähe ging die kritische Distanz verloren, die muss ich erst wieder zurück-
gewinnen.“ Jedoch hatte Römer nicht den Eindruck, dass das PR-Anliegen überstrapaziert wurde.

Unter Beschuss
Im Übungsdorf Bonnland raubt Eiko Zuckschwerdt den Journalisten die Illusion, dass Holzstapel, Ziegel- oder Beton-
wände Schutz vor Beschuss bieten. Nach dieser Information sollten die Kursteilnehmer das Dorf unter Nutzung der möglichen Deckung durchqueren. Obwohl jetzt nur Platz-
patronen drohten, wurde mir ziemlich mulmig bei dem Ge-
danken, dass sich hinter jeder Ecke, hinter jedem Fenster ein Schütze verstecken könnte.

Ich war bereits etwas entspannter als wir den eng bebauten Dorfkern hinter uns gelassen hatten. Plötzlich beschossen uns zwei Soldaten, die sich auf einer Anhöhe auf die Lauer gelegt hatten. Ich werfe mich flach auf die Straße. „Möglichst klein machen“ war uns geraten worden. Eine Kollegin will die Deckung eines großen Steines am Wegrand nutzen; das Krachen einer Explosion übertönt das Peitschen der Gewehr-
schüsse: In diesem Moment hatte niemand an die Gefahr durch Minen gedacht.

Als journalistischer Coach brachte Friedhelm Brebeck seine Erfahrungen aus Krisen- und Kriegsregionen in den Lehrgang ein. Eindringlich warnte der Fernsehkorrespondent davor, ohne ausreichende finanzielle Mittel sein Glück herauszufordern. Rund drei Viertel der Journalisten, die ihm in Krisenregionen be-
gegneten, hätten weder die Möglichkeit gehabt mit ihren Redaktionen zu telefonieren, noch ein Fax zu schicken oder die oft teueren Hotelübernachtungen zu bezahlen. Die Budgets, die entsandten Korrespondenten von öffentlich-rechtlichen Fern-
sehsendern zur Verfügung stehen, beeindruckten die Kurs-
teilnehmer tief. Redakteure von überregionalen Tageszeitungen oder Freiberufler, die für andere Medien arbeiten, müssen mit wesentlich geringeren Beträgen kalkulieren.

Mit verbundenen Augen knie ich im feuchten Laub. Gegen meine auf dem Rücken gefesselten Hände schlägt der kalte Lauf eines Gewehres. Vor wenigen Minuten saß ich noch in einem Kleinbus und genoss den sonnigen Wintertag in der fränkischen Wald- und Hügellandschaft. Auf einmal ging alles rasend schnell: Vermummte Gestalten stoppten das Fahrzeug, zerrten uns aus dem Wagen, trieben uns durch den Wald und verfrachteten uns schließlich in einen Schuppen. Dieser psychisch wie physisch anstrengendste Ausbildungsteil soll die Teilnehmer auf den Fall einer Entführung vorbereiten. Einerseits ist mir bewusst, dass ich mich nur in einem Rollenspiel befinde, andererseits spüre ich meine Hilflosigkeit in Mark und Bein: Der Lärm, mit dem die Entführer uns quälen, meine Kopfschmerzen, die unbequeme Haltung.

Höhere Sensibilität
Trotz der Strapazen durch das Rollenspiel fällt das Urteil der Teilnehmer über den Kurs überwiegend positiv aus. „Die Geiselnahme war eine Grenzerfahrung, aber eher eine seltene Extremsituation, in die ich hoffentlich nie kommen werde“, so Anton Notz von der „Financial Times Deutschland“. Für wichtiger, weil alltäglicher bei der Arbeit in Krisengebieten, hält Notz die Hinweise zum Verhalten an Checkpoints oder zum Schutz vor Beschuss und Mienen. „In Zukunft werde ich viel, viel vorsichtiger sein“, erklärt der Bildjournalist Daniel Zegwalek, der zuvor auch im Nahen Osten und Kolumbien gearbeitet hatte. Der Lehrgang habe ihn für Gefahren sensi-
bilisiert.

Gutes Training als Vorbereitung kann dazu beitragen, dass Journalisten in Zukunft bewusster und vorsichtiger arbeiten – nicht weniger, aber leider auch nicht mehr: Unter den ver-
gangenen Jahr getöteten Journalisten war auch der „Focus“-
Reporter Christian Liebig, der den Kurs absolviert hatte.

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Trainings für Journalisten – Termine und Kosten
Vier offene Basislehrgänge werden pro Jahr im September/ Dezember und Februar/ März von der Bundeswehr, der Berufs-
genossenschaft Druck und Papierverarbeitung und dem Deutschen Journalisten-Verband (DJV) in Hammelburg angeboten. Die Berufs-
genossenschaft übernimmt für ihre Mitglieder die Teilnahmegebühr. Nicht in der BG versicherte Journalisten bezahlen 346,76 Euro (inklusive Unterkunft und Verpflegung) für den fünftägigen Kursus. Für diese Kurse gibt es allerdings Wartelisten.
(Anmeldung: Berufsgenossenschaft Druck und Papierverarbeitung, Referat Aus- u. Weiterbildung, z.Hd. Herrn Dr. Prinz, Rheinstr. 6-8, 65185 Wiesbaden).
Die Zentrale Fortbildung (ZFP) der öffentlich-rechtlichen Fern-
sehsender bietet für ihre Mitarbeiter jährlich drei Lehrgänge in Hammelburg an.

Einige britische Sicherheitsunternehmen bereiten ebenfalls auf die Arbeit in Krisen- und Kriegsregionen vor. Freie Medienmitarbeiter können für diese Kurse vom Rory Peck Fund ein Stipendium erhalten. Nähere Informationen über Stipendien und Links zu den Anbietern solcher Trainings finden sich auf
www.rorypecktrust.org.
Zu den Anbietern solcher Kurse gehört beispielsweise Centurion Risk Assessment Services Ltd.: Freiberufler mit Stipendium bezahlen für einen viertägigen Kurs in der Nähe von Heathrow 250, für fünf Tage 500 Britische Pfund.

Im September werden in Hammelburg zum ersten Mal Aufbau-
lehrgänge für Journalisten stattfinden. Dabei werden die Rollen-
Simulationen auf bis zu 48 fortlaufende Stunden – einschließlich Übernachtung - ausgedehnt werden. Unter diesen Bedingungen sollen die Teilnehmer journalistisch arbeiten.

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