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BVG-Gelb gegen Regenbogen

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eine gekürzte und redaktionell bearbeitete Version dieses Berichts erschien in der:
Siegessäule 08/2004, Seite 22

von STEFAN KNOBLICH ©

Die Berliner Verkehrsbetriebe fordern von ihren Kontrol-
leuren, hunderttausende Schwarzfahrer jährlich zu fangen. Ausländer und Schwule scheinen dabei eine einfache Beute zu sein. Vermeintliche Schwarzfahrer klagen über Beleidigung, Diskriminierung und sexuelle Belästigung durch die Fahnder.

Amtsgericht Moabit. Verhandelt wird wegen Körperver-
letzung, die angeblich der mittelamerikanische Transvestit, Mario Mariposa (Name geändert) zwei Kontrolleuren der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) angetan haben soll. Die Anzeige hatten die Angestellten des ARGE-Sicherheits-
dienstes erstattet. Seine Version sieht anders aus: Die Herren hätten sich über ihn lustig gemacht, ihm an die falschen Titten gegrabscht, ihn geschlagen und seine Handtasche zerrissen. Auf dem Nachhauseweg von einer Show war der Student in vollem Fummel in einer U-Bahn eingeschlafen.

Der Richterin zeigt er ein Foto von seinem Outfit: hochhackige Schuhe, blonde Perücke, lange aufgeklebte Fingernägel und jede Menge Schminke. Kommentar der Richterin: „sehr schön, aber der magenta-farbene Hut passt überhaupt nicht zum Kleid.“ Die Staatsanwältin kritisiert grinsend, dass die Kopfbedeckung auch noch einen Reklame-Aufdruck trägt.

Beim Betreten des Gerichtssaals lässt die Schutz-Fachkraft Thomas F. die Tür laut zuschlagen. Seine Aussage macht der Bernauer, dessen schwarze Lederhandschuhe demonstrativ am Uniform-Bund baumeln, breitbeinig und nervös zitternd. Dabei verwickelt sich der 37-jährige so sehr in Widersprüche zu den Aussagen seines Kollegen, dass die Richterin schnell genug hat und das Verfahren einstellt. Dem Transvestiten gibt sie noch einen guten Rat unter Frauen: „Also fahren Sie bitte lieber nicht mehr geschminkt U-Bahn ...“

Szenenwechsel: Der Sarde Paolo Rossi (Name geändert) wollte eigentlich eine Monatskarte am Automaten lösen. Jedoch zickte der gelbe Eurofresser und schluckte lediglich seinen Fuffi. Nach viel Ärger „bekam ich eine Bescheinigung über eine Automatenstörung“, berichtet der 28-jährige. Demzufolge könne er mit dieser reisen, bis die BVG sich meldet.

Als Rossi Nachmittags in einer Tram unterwegs war, gefiel zwei Kontrolleuren der Beleg nicht; sie warfen ihm vor, schwarz zu fahren. Er solle sofort 40 Euro zahlen. Rossi rief die Polizei. Während des Wartens fragten sie den androgyn wirkenden Italiener: „Bist DU Marokkaner?“ und spuckten ihm wiederholt verächtlich vor die Füße. Von da an sprachen die BVG-Vertreter nur noch Türkisch.

Einer der „Fahnder“ - „hatte Augenbrauen, wie eine Drag-
Queen“, bemerkte Rossi - wechselte das Thema: „In welche Clubs gehst DU? Kennst DU das SO36?“. Mit welcher Ab-
sicht fragte er wohl nach der Location der allmonatlichen türkischen Homo-Party?

Diskriminierung, Beleidigungen und sexuelle Belästigung von Fahrgästen sowie gewalttätige Übergriffe durch Kontrolleure, „wenn das ein Einzelfall wäre, würden wir Herrn Rossi Blumen schicken und uns entschuldigen“, empfängt die neue Pressesprecherin des gelben Fuhrunternehmens, Petra Reetz, den Journalisten.

Um ihre Fangquoten zu erfüllen – 600.000 bis 700.000 Schwarzfahrer müssen die Kontrollettis im Auftrag der BVG jedes Jahr irgendwie „erwischen“ - wurden wohl die ver-
meintlich Schwächsten besonders ins Visier genommen: Schwule und Ausländer.

Im vergangenen Sommer forderte die Berliner Tourismus Marketing GmbH (BTM) die BVG öffentlich auf, „die Touristen nicht endgültig zu vergraulen“. So sehr hatten die Beschwerden zugenommen. Im Frühling beklagte die Sprecherin der BTM wieder eine Häufung von Beschwerden über „sehr pampiges und unhöfliches Verhalten“. Sicherlich keine gute Empfehlung für die Bewerbung Berlins als Aus-
tragungsort der internationalen Outgames.

Inzwischen hat der gelbe Riese auf derartige Vorfälle reagiert: „Höflicher und korrekter Umgang mit den Kunden ist Teil unseres Vertrages mit den Sicherheitsdiensten“, betont Reetz. Ende Mai hat die Anstalt öffentlichen Rechts eine Abmahnung ausgesprochen. Bei weiteren Beschwerden werde der Ver-
trag gekündigt und Schadensersatz gefordert. Auch den eigenen Mitarbeitern machte die Sprecherin unmissver-
ständlich klar, „dass wir Intoleranz und schlechtes Benehmen nicht dulden“. Reetz weiß, dass dies eine Überlebens-Frage ist: Spätestens 2007 muss der Berliner öffentliche Personen-
Nahverkehr europaweit ausgeschrieben werden. Den Zu-
schlag wird dann hoffentlich ein Unternehmen bekommen, das seine Fahrgäste korrekt behandelt.

 

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